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Channel: Musikgeschichte – Geschichte Bayerns
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Tagungsbericht: „Dorf – Musik – Leben. Die Sachranger Notensammlung geht in die die Welt“. Zum 175. Todestag des Müllner Peter von Sachrang

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Der 175. Todestag des Peter Huber (1766-1843), genannt Müllner Peter, aus Sachrang im Jahr 2018 war Anlass, seinem Leben und vor allem seiner Musiksammlung eine Tagung zu widmen. Zuletzt war dies 1993 der Fall gewesen. Die diesjährige Tagung widmete sich vorwiegend der vergleichenden Einordnung des als „dörfliches Universalgenie“ bezeichneten Peter Huber.

Peter Huber hat keine autobiographischen Aufzeichnungen oder Ego-Dokumente hinterlassen. Was wir über sein Leben wissen, basiert u. a. auf Erzählungen seiner Großnichte, die 1932 aufgezeichnet wurden. Darauf aufbauend verfasste Carl Oskar Renner den Roman „Der Müllner Peter von Sachrang“ (1972), der 1978 durch den Bayerischen Rundfunk im aufwändigen Dreiteiler „Sachrang. Eine Chronik aus den Bergen“ verfilmt wurde.

Zur Biografie des Müllner Peters – Stefan Breit


Roman und Film prägen bis heute das Bild des Müllner Peter. Den Auftakt der Tagung bildete daher ein Vortrag von Dr. Stefan Breit mit dem Titel „Biographisches über den Müllner Peter“, der die gesicherten Kenntnisse über den Lebensweg des Sachranger Müllers zusammenfasste. Peter Huber wurde 1766 als Kind einer Müllerfamilie in Aschach geboren. Die wohlhabende Familie bewirtschaftete eines der größten Anwesen in der Hauptmannschaft Sachrang. Von Hubers sechs Geschwistern war zunächst der ältere Bruder Georg als Hoferbe vorgesehen. Peter Huber hatte sicherlich eine höhere Bildung genossen. Das Wilhelmsgymnasium in München scheidet aufgrund der Quellenbefunde aus. Denkbar wären die Herzoglich-Marianische-Landesakademie oder auch eine der Klosterschulen in Herrenchiemsee oder Weyarn. A

Anders als im Film suggeriert war Peter Huber kein Rebell, sondern friedfertig und angepasst. 1797 ist er erstmals greifbar, als er das Amt des Chorregenten und Organisten in Sachrang übernahm. Huber baute den Chor auf, erteilte Musikunterricht und beschaffte eine neue Orgel. Daneben trat Huber als Laienbehandler von Menschen und Tieren auf.

1809 übernahm Peter Huber im recht hohen Alter von 43 Jahren den Hof. Im gleichen Jahr trat er beim Tiroler Aufstand als Informant der Regierung auf und begrüßte die Niederschlagung des Tiroler Aufstands. 1811 war Peter Huber anfänglich an dem erfolglosen Versuch beteiligt, den Sachranger Pfarrer abzusetzen. Er zog sich aber rasch aus der Klägergruppe zurück.

Erst mit 47 Jahren, 1813, heiratete Peter Huber. Ungewöhnlich waren sowohl das hohe Alter bei der Heirat als auch die Wartezeit von vier Jahren nach der Hofübernahme. Seine Braut, Maria Hell, war bei der Hochzeit 31 Jahre alt. Laut der Berichte aus den 1930er Jahren hätten Freunde vor der Verbindung gewarnt, die dann unglücklich verlaufen sei. Sogar die Scheidung habe seine Frau gewollt. Bezeugt ist, dass der kinderlose Huber 1821 eine erste Adoption versuchte und dass seine Frau 1824 in der Prien ertrank.

1817 wurde Huber Gemeindevorsteher. Im gleichen Jahr wurde im Pfarrhof ein Schulzimmer eingebaut. Huber verbesserte die Dotierung der Lehrerstelle mit einer Stiftung. 1821 zog sich Huber von allen Ämtern (Gemeindevorsteher, Chorregent und Organist) zurück, engagierte sich aber weiter für die Gemeinde. So renovierte er 1825/27 in Eigenregie die verfallene Ölbergkapelle. 1834/38 adoptierte er seinen Neffen Josef Auer. 1843 starb er.

In der regen Diskussion wurde angemerkt, dass die Vererbung des Hofs an einen jüngeren Sohn nichts Ungewöhnliches sei. Gefragt wurde, ob es eine Erklärung für Hubers Ausscheiden aus allen Ämtern 1821 gäbe; leider fehlen hierzu aussagekräftige Quellen. Abgesehen von der Musiksammlung gibt es keinen geschlossenen Nachlass. Auch ein Nachlassinventar ist leider nicht vorhanden. Zeugnisse zu und von Peter Huber sind Zufallsfunde in den Akten.

Die Aufklärung und Karrieren aus dem Volk – Rainald Becker

Im Folgenden referierte Prof. Dr. Rainald Becker, LMU, zum Thema „Die Umbruchszeit um 1800: Das Gedankengut der Aufklärung als Katalysator für ‚Karrieren‘ aus dem Volk“. Becker stellte zunächst die populäre Vorstellung vor, die Aufklärung habe eine finstere Zeit abgelöst und als Projekt der Moderne über die Bildung für alle den Weg zur Partizipation geebnet. Tatsächlich verstanden sich die Aufklärer als Pädagogen. Die Volksaufklärung widmete sich besonders der Reform der agrarischen Lebensverhältnisse. Angestrebt wurde eine positive Entwicklung durch die Schule hin zu einer gottgefälligen Selbstdisziplin. Als Beispiel nannte Becker Ulrich Bräker („Armer Mann von Toggenburg“), der sich aus ärmlichen Verhältnissen durch Bildungsbemühungen emporarbeiten konnte.

Die bayerische Staatsaufklärung war von Bauern- und Handwerkersöhnen geprägt. Exemplarisch stehen dafür Johann Georg (von) Lori, Mitbegründer der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, der 1723 als Wirtssohn in Steingaden geboren wurde, sowie der Jurist Wiguläus von Kreittmayr, Abkömmling einer Friedberger Uhrmacherfamilie. Im kirchlichen Bereich waren Aufstiegsphänomene noch klarer zu erkennen – Paradebeispiel ist der Fürstabt von St. Emmeram, Frobenius Forster, Sohn eines Gastwirts.
Bei Peter Huber ist kein derartiger Aufstieg zu konstatieren. Er verweist vielmehr auf einen anderen Typus, den der dörflichen Elite. Huber partizipiert am Bildungswesen der Zeit ohne eine Universität zu besuchen. Sein intellektuelles Kapital kam aus dem Schulbesuch, vermutlich in Weyarn oder Herrenchiemsee. Dabei war er kein Wiedergänger des autodidaktischen „Armen Manns von Toggenburg“, sondern eher ein sog. „Lateinbauer“.

Die Frage, ob Hubers Bildungsweg das aufklärerische Projekt der Moderne verkörpere, verneinte Becker. Die von Huber genutzten klösterlichen Bildungseinrichtungen bestanden im katholischen Konfessionsstaat Bayern seit langem. Den Aufklärern waren solche Karrieren vielmehr gar nicht geheuer. Aufgeklärte Bildung für alle war Elementarunterricht in den grundlegenden Kulturtechniken, eine Erziehung zur Alltagsbewältigung, Moral und „Industriosität“.

Die Aufklärer äußerten massive Kritik an der Akademisierung breiter Bevölkerungsschichten. Folge aufgeklärter Bildungspolitik war daher die Auflösung von Universitäten und ein Schulsterben. Diese Lücken im Bildungssystem konnten nur mühsam ausgefüllt werden. In Bayern konzentrierte sich die Bildung auf die Metropole. Der kulturpolitische Furor der Säkularisation beseitigte eine gewachsene Bildungslandschaft. Das flache Land mutierte zum bildungsfernen Raum und blieb das bis in die 1960er/70er Jahre. Peter Huber hatte die „Gnade der frühen Geburt“ und konnte noch eine Klosterschule besuchen.

In der Diskussion kam die Frage auf, ob es ähnliche „gescheiterte Karrieren“ wie die des Peter Huber gäbe. Dies zu ermitteln sei schwierig, so Becker, da die Gescheiterten ja in ihr gewohntes Milieu zurückkehrten. Erkennbar könne dies an Buchbesitz oder am bildungsbürgerlichen Auftreten (z. B. Porträts) sein.

Wo ging der Müllner Peter zur Schule? – Florian Sepp

Beckers Ausführungen ergänzte der anschließende Vortrag von Florian Sepp „Wo ging der Müllner Peter zur Schule? Bildungschancen im ländlichen Raum im 18. Jahrhundert“. Sepp zählte zunächst die Indizien für die höhere Bildung des Müllner Peter auf: Berichte der 1930er Jahre, er sei zum geistlichen Stand bestimmt gewesen und daher in München auf die Schule gegangen, die ihm in Briefen zugeschriebene „höhere Bildung“, nachweisbare Lateinkenntnisse, die in den 1930er Jahren noch vorhandene Bibliothek, seine musische Bildung sowie die medizinischen Kenntnisse, bei denen es nicht um traditionelle Volksmedizin, sondern um modernes, rationales medizinisches Wissen ging.

Seit längerem ist bekannt, dass Huber nicht am Münchner Wilhelmsgymnasium war. Sepp erörterte, ob Huber vielleicht die Marianische Landesakademie, die Nachfolgerin des Kadettenkorps, besucht haben könnte. Dies würde seine enge Beziehung zum Münchner Stadtmusiker Augustin Holler erklären, der Musiklehrer an der Landesakademie war. Die Quellen zu Landesakademie sind jedoch so spärlich, dass sich diese These weder belegen noch widerlegen lässt.

Sepp versuchte nun eine Bewertung, ob der Bildungsweg des Peter Huber ungewöhnlich war und welche Bildungschancen im ländlichen Raum im 18. Jahrhundert überhaupt bestanden. Ausgangslage zur Jahrhundertmitte waren die in den größeren bayerischen Städten angesiedelten Vollgymnasien der Jesuiten (und zwei der Benediktiner), die entweder mit einer Universität oder einem Lyzeum verbunden waren. Dazu traten die Klosterschulen („Seminare“) der Prälatenorden (für ca. 10 Schüler). Es handelte sich um Singknabeninstitute, die Schüler wurden als Chorsänger benötigt. Im Regelfall wurden das Amt des Chorregenten und des Seminarlehrers in Personalunion geführt. Nur in Polling, Benediktbeuern und Weyarn bestanden um 1750 größere Gymnasien mit bis zu 100 Schülern. An all diesen Klosterschulen konnte man bis nach 1750 nicht die gesamte Gymnasialausbildung absolvieren (Ausnahme Benediktbeuern). Für eine abgeschlossene Gymnasialausbildung musste man eines der Gymnasien in Städten aufsuchen. Offensichtlich ging nur ein Teil der Klosterschüler an ein Jesuitengymnasium und auch dort verließ eine größere Anzahl von Schülern die Schule schon nach den unteren Klassen.
Der Schülerkatalog des Klosters Baumburg aus den Jahren 1609-1767 und die Mitwirkendenlisten des Weyarner Schultheaters zeigen eine stark städtische Prägung der Schülerschaft der Klosterschulen, was mit der sozialen Zusammensetzung der barocken Klosterkonvente korrespondiert. Der Anteil von Bauernsöhnen in den barocken Konventen war allerdings geringer, als man nach den Absolventenzahlen am Münchner Gymnasium erwarten kann. Zahlenmäßig am meisten Bauernsöhne absolvierten die Oberklasse des Münchner Gymnasiums um 1700.

Das Elementarschulwesen war bis nach der Mitte des 18. Jahrhunderts für die Klöster überhaupt nicht von Interesse. Träger der Volks- und Elementarschulen waren die Pfarr- bzw. Filialgemeinden oder die Hofmarken. In Sachrang selbst sind im 18. Jahrhundert regelmäßig Schullehrer nachgewiesen. Peter Huber hat seine erste Schulausbildung wohl in Sachrang selbst erhalten.

Peter Hubers Bildungsweg fand jedoch unter veränderten Voraussetzungen statt. Die Aufklärer kritisierten die Studiersucht der einfachen Bevölkerung, die nur die „Möncherei“ befördert hätte. Reformer wie Ickstatt forderten schon in den 1770er Jahren, unteren Schichten den Besuch von Lateinschulen zu untersagen und diese in elementaren Kulturtechniken und zum Gehorsam gegen die Obrigkeit zu erziehen.

Nach der Aufhebung des Jesuitenordens 1773 wurde daher die Zahl der jährlichen Absolventen am Münchner Wilhelmsgymnasium von 100 auf rund 50 halbiert, auch um den Klöstern den Nachwuchs zu entziehen. Im Gegenzug bauten die Klöster ihre Bildungseinrichtungen aus. Weyarn, Tegernsee oder auch Herrenchiemsee boten im ausgehenden 18. Jahrhundert eine vollständige Gymnasialausbildung an. Gleichzeitig entdeckten die Klöster das Elementarschulwesen als Betätigungsfeld.
Peter Huber hat wahrscheinlich das Gymnasium in Herrenchiemsee besucht. Weyarn ist eher auszuschließen, da er dort in den zahlreichen Schultheaterstücken niemals als Mitwirkender genannt ist.

Die Schulordnung von 1799 verordnete die Schließung sämtlicher klösterlicher Klosterseminare und ihre Umwandlung in Realschulen. Damit waren den Klöstern sämtliche Wege zur Nachwuchsrekrutierung entzogen. Regierungsamtliche Quellen feierten 1803 und 1804 den Rückgang der Absolventenzahlen der bayerischen Gymnasien und das Verschwinden von Bauernsöhnen aus deren Schülerschaft.

Folge war eine im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu konstatierende kulturelle Inferiorität der Katholiken in Deutschland. Der Rückgang von Bildungschancen vor allem im ländlichen Raum brachte schon bald einen spürbaren Priestermangel mit sich. Die Bistümer reagierten mit der Gründung von Knabenseminaren, auch in klösterlicher Trägerschaft, die aber auf die Gewinnung von Priesternachwuchs fokussiert waren. Wenn in den 1930er Jahren eine Verbindung zwischen Hubers höherer Bildung und der Bestimmung zum geistlichen Stand hergestellt wurde, sagt dies vor allem etwas über die Bildungschancen im ländlichen Oberbayern im frühen 20. Jahrhundert aus.

Die Pfarreiorganisation um 1800 – Guido Treffler

Im letzten Vortrag des Vormittags beleuchtete Guido Treffler die Auswirkungen der Reformzeit um 1800 auf die Pfarreiorganisation. Montgelas hatte in seinem Ansbacher Memoire 1796 auch eine Verbesserung des Pfarrsystems vorgesehen. Die Säkularisation der Klöster betraf auch die inkorporierten Pfarreien. 1803 wurden an alle Seelsorger Formulare übersandt, um Daten für eine neue Pfarrorganisation zu erheben. 

Sachrang war bis 1806 eine Filiale der Pfarrei Niederaschau, die dem Augustinerchorherrenstift Herrenchiemsee inkorporiert war, und wurde von einem Expositus betreut.

In Sachrang kamen die Informationen über die geplante Neuorganisation erst mit einem Jahr Verzögerung an. Das Landgericht Fischbach führte im Oktober eine erste Untersuchung unter Beteiligung der Bevölkerung aber ohne Einbeziehung der Herrschaft Hohenaschau durch und schlug vor, Sachrang zur Pfarrei zu erheben. Die kirchlichen Behörden wurden nicht eingeschaltet, Proteste des zuständigen Bischofs von Chiemsee nicht gehört.
1805 stockte die Neuorganisation wegen des Krieges. Erst am 3. März 1806 erging das Dekret über die provisorische Pfarrorganisation, das im April und Mai umgesetzt wurde. Sachrang wurde zur Pfarrei ohne Hilfspriester erhoben. Die Dotation wurde auf ein Gehalt von 600 fl zuzüglich 60 fl Entschädigung angesichts des Fehlens von 20 Tagwerk Grund bei der Pfarrei festgesetzt. Der alte Expositus wurde mit einer Pension von 500 fl in den Ruhestand geschickt. Alle bisherigen Einkünfte der Expositur fielen an den Staat.

Neuer Pfarrer wurde Eusebius Sänftl, Sohn eines Münchner Anwalts, der 1795 die Profess in Herrenchiemsee abgelegt hatte und 1799 zum Priester geweiht wurde. 1808 wurden ihm vortreffliche, aber zu wenig benutzte Talente attestiert, sowie Defizite im Lebenswandel. 1811 wiederholte sich dies in verschärfter Form, nachdem es eine Beschwerde von acht Pfarrangehörigen – darunter Peter Huber – über ihn gegeben hatte. Das Landgericht Rosenheim sah jedoch nur den übermäßigen Alkoholkonsum als bestätigt an. 1812 erhielt Sänftl eine Mahnung des Freisinger Generalvikariats. In den folgenden Jahren besserte sich das Verhalten, ebenso das Verhältnis zu Huber.

Erst Ende 1806 wurde der Organisationsplan dem Bischof von Chiemsee übersendet, der daraufhin eine Stellungnahme durch den Archidiakon von Herrenchiemsee abgeben ließ. Dieser klagte über die Nichtbeachtung der lokalen Verhältnisse, die Unzufriedenheit hervorgerufen habe. Im Falle von Sachrang gab es aber keine Einwände. Die Rückmeldung des Bischofs 1807 führte tatsächlich in einigen Fällen zu Änderungen bei der endgültigen Organisation 1809.

Nur scheinbar hatte also die Organisation der Klosterpfarreien in Sachrang wenig verändert. Denn zwischen Kooperator und Pfarrer bestand ein deutlicher Statusunterschied. Auch das Gehalt des örtlichen Seelsorgers verbesserte sich deutlich. Erkennbar ist auch der umfassende Anspruch des zentralistischen Staats. Diesem ging es nicht um Seelsorge. Die Pfarrer waren in seinen Augen Volkserzieher in Religion und Sittlichkeit, die als Staatsbeamte auch weltliche Aufgaben, wie die Schulaufsicht, übernahmen. Der Staat erspart sich Pensionen für Klostergeistliche. Der staatliche Anspruch auf Kirchenhoheit konnte sich durchsetzen.

In der Diskussion wurde die Frage nach vergleichbaren Phänomenen in Europa, z. B. in Frankreich oder Österreich aufgeworfen. Florian Sepp führte hierzu aus, dass das josephinische Österreich und das napoleonische Frankreich das große Vorbild waren. In beiden Fällen wurde die Diözesanorganisation an die staatliche Verwaltungsstruktur angepasst und ein engmaschiges Pfarrnetz geschaffen. In Bayern unterblieb dies. Die Diözesangrenzen entsprechen bis heute nicht denen der Regierungsbezirke, die Reorganisation der Pfarreien blieb auf Klosterpfarreien beschränkt. Aus den einschlägigen Quellen im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die von der Montgelas-Forschung bisher noch nicht berücksichtigt wurden, geht hervor, dass Montgelas 1803 tatsächlich eine umfassende Neuorganisation der kirchlichen Strukturen Bayerns plante. Diese hochfliegenden Planungen konnten nicht umgesetzt werden. Faktisch sei hier Montgelas auf ganzer Linie gescheitert, ohne dass dies die Forschung bisher bemerkt habe.

Die Musikaliensammlung des Müllner Peter in Sachrang. Typisches Repertoire eines bayerischen Dorfchors zu Beginn des 19. Jahrhunderts? – Steffen Voss

Der Nachmittag der Tagung, der von Georg Antretter moderiert wurde, war der Musikaliensammlung des Müllner Peter und dem Musikleben in der Region gewidmet. Zunächst stellte Steffen Voss in einem Überblicksreferat die wichtigsten Charakteristika der Sammlung vor. Er widmete sich zunächst der Überlieferungsgeschichte. Die Sammlung war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit geraten und wurde erst 1938 von Hans Halm, dem damaligen Leiter der Musikabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek, bei einem Besuch des Dorfes wiederentdeckt. Halm veranlasste den Ankauf der Musikalien – zusammen mit weiteren Handschriften und Drucken, die sich noch in der Sachranger Kirche befanden – durch die Bibliothek. Zu Beginn der 60er Jahre, nach kriegsbedingter Auslagerung, erfolgte die Katalogisierung. Eine intensive Beschäftigung fand schließlich auf Veranlassung von Dr. Robert Münster statt, der die Musiksammlung seit 1969 leitete. Er publizierte selbst mehrere Artikel zu Aspekten der Sammlung; 1972 fand schließlich eine Ausstellung in der Bibliothek statt. In der Münchener Arbeitsstelle des Répertoire international des Sources musicales (RISM) wurden die Handschriften der Sammlung schließlich erneut für die RISM-Online-Datenbank katalogisiert. An diese Daten lehnt sich auch die Online-Präsentation der Anfang 2018 vorgenommenen Digitalisierung an. Im Rahmen der Katalogisierung konnten einige anonyme Werke in der Sammlung identifiziert werden, darunter ein Vesperzyklus von Amandus Ivanschiz, und einige Fehlzuschreibungen korrigiert werden. Huber schrieb beispielsweise einen Hymnus „Ave maris stella“ als Werk von Augustin Holler ab, es handelt sich aber um eine Komposition von Franz Kaltner aus dessen Hymnensammlung von 1749.

Der Großteil der über 300 in der Sammlung vertretenen Werke stellt Abschriften von der Hand Peter Hubers selbst dar. Er setzte seine Sammler- und Kopistentätigkeit auch nach seinem Rücktritt vom Amt des Chorregenten und Organisten 1821 und noch bis kurz vor seinem Tod fort. Ein Drittel der in der Sammlung enthaltenen Werke stammt von Georg Augustin Holler , einem aus der Oberpfalz stammenden Münchener Stadtmusiker, der auch als Musiklehrer an der Herzoglich-Marianischen-Landesakademie tätig war. Die meisten der Werke Hollers in der Sammlung stellen Unikate dar, Huber muss also einen besonderen Draht zu dem Komponisten gehabt haben. Eine datierte autographe Partitur mit Adventsliedern bezeugt den engen Kontakt, der zwischen dem Komponisten und dem Sammler bestanden haben muss. Neben geistlichen Werken – überwiegend deutsche und lateinische Messen, daneben Litaneien, Vespern, Offertorien, Lieder sowie eine mehrteilige Passionsmusik – finden sich auch zahlreiche Instrumentalwerke Hollers in der Sammlung, vor allem Divertimenti in verschiedenen bunten Mischbesetzungen für Bläser und Streicher, sowie Sammlungen mit Tänzen.

Neben Huber, der den größten Teil der erhaltenen Stimmensätze abschrieb, findet sich in der Sammlung unter anderem die Handschrift seiner späteren Ehefrau Maria Hell. Ihr ist wohl auch die Gestaltung der farbenfrohen Titelumschläge zuzuschreiben, die einige der früheren Stimmensätze der Sammlung zieren, und die in späteren Handschriften, nach ihrem tragischen Unfalltod 1824, nicht mehr auftauchen. Daneben war auch Peter Hubers jüngerer Bruder Thomas als Schreiber am Entstehen der Sammlung beteiligt, daneben tritt er sogar als Komponist einer Litanei für Chor a capella in Erscheinung. Seit Mitte der 1830er Jahre taucht auch die Handschrift des jungen Lehrers Wunibald Lesche in der Sammlung auf, in einigen Fällen entstanden Stimmensätze in Arbeitsteilung zwischen Lesche und Huber, was auf eine enge Zusammenarbeit schließen lässt. Schließlich finden sich in der Sammlung auch jüngere Spuren, die aus der Zeit von Hubers Nachfolger und Neffen Josef Auer stammen. Auer schrieb häufig instrumentale Ergänzungsstimmen zu älteren Stücken, die er von seinem Onkel übernommen hatte. Dabei fällt seine Bevorzugung moderner Blechblasinstrumente wie dem Bombardon (dem Vorläufer der Tuba) oder der Klappentrompete auf, die einem allgemein zu beobachtenden Trend Mitte des 19. Jahrhunderts entspricht.

Zur dörflichen Musikpflege im Salzburger Land zur Zeit des Müllner Peter – Thomas Hochradner

Thomas Hochradner (Mozarteum Salzburg) beleuchtete in seinem Vortrag sozioökonomische und kulturgeschichtliche Voraussetzungen für die Entwicklung des Musiklebens in dem benachbarten Fürsterzbistum. Er wies auf die außerordentliche Bedeutung der Aufklärung hin, die in der prägenden Gestalt des aus der Biographie von Leopold und Wolfgang Amadeus Mozart als schwieriger Dienstherr bekannten Fürstbischofs Hieronymus von Colloredo (1732-1812) einen besonders radikalen Anhänger hervorbrachte. Sein Reformeifer hatte auch grundlegende Folgen für das Musikleben in den Dörfern. Eine interessante institutionelle Eigenheit der dörflichen Musikpflege im Salzburger Land stellen die seit dem 17. Jahrhundert nachweisbaren „Kirchensänger“ dar, die auch ein eigenes geistliches Liedrepertoire pflegten. Diese musikalischen Gemeinschaften waren Ende des 18. Jahrhunderts auch für die Einführung liturgischer Gesänge in der Volkssprache („Deutsche Singmessen“) zuständig, die Colloredo in Anlehnung an die josephinischen Reformen in seinem Land durchsetzen wollte. Ab 1783 war es sogar völlig untersagt, lateinische Messen mit Orchesterbegleitung aufzuführen, lediglich an Klosterkirchen war dies noch erlaubt. Durch die Einführung neuer Gesangbücher sollten diese Neuerungen befördert werden, in diesem Zusammenhang entstand auch die berühmte Deutsche Messe von Michael Haydn.

Mit den napoleonischen Kriegen, die zur Säkularisierung und zur Auflösung des Reichsfürstentums, damit zur Absetzung Colloredos, führten und den darauffolgenden politischen Wirren setzte ein kultureller Niedergang in Stadt und Land ein. Das Gebiet wurde nun zunächst von den Habsburgern regiert – als Ersatz für die verlorene Toskana – bevor es ab 1810 an das mit Napoleon verbündete Bayern fiel. Nach dem Wiener Kongress gelangte das Gebiet dann endgültig unter österreichische Herrschaft, wobei die westlichen Landesteile (Berchtesgadener Land und Rupertiwinkel) bei Bayern verblieben. Trotz dieser schwierigen Umstände etablierte sich in dieser Zeit in der Stadt ein bürgerliches Musikleben, das auch auf die ländlichen Gebiete abfärbte. Das Musikleben in den Dörfern wurde dabei in erster Linie, ähnlich wie in Tirol und Bayern, von den Lehrern getragen, bekanntester Vertreter dieses Berufstandes in dieser Zeit war sicherlich Franz Xaver Gruber, Lehrer, Kantor und Organist in Arnsdorf und Oberndorf, der Komponist des Weihnachtsliedes „Stille Nacht“.

Die Musikaliensammlung des Müllner Peter aus Tiroler Sicht: 1986 und heute – Hildegard Herrmann-Schneider

Mit dem Titel ihres Vortrags bezog sich die Referentin auf einen eigenen Artikel, der 1986 in den „Tiroler Heimatblättern“ erschienen ist. Die Tirolensien in der Sachranger Musikaliensammlung des Peter Huber (1766-1843). Nach damaligem Kenntnisstand stellt die Sachranger Sammlung einen wichtigen Fundort für Werke Tiroler Kirchenkomponisten um 1800 dar, da zu diesem Zeitpunkt die bedeutenden Musikaliensammlungen in Tiroler Klöstern und Pfarrarchiven, in denen dieses Repertoire zum größten Teil überliefert ist, noch wenig erforscht waren. Als Beispiel nannte Herrmann-Schneider neben Werken von Joseph Alois Holzmann aus Hall und Wilhelm Lechleitner CanReg aus Neustift die Pastoralmesse in G von Edmund Angerer, dem Komponisten der früher u. a. Leopold Mozart zugeschriebenen „Kindersinfonie“. Das anmutig-melodische Werk, typisch für den alpenländischen Kirchenstil dieser Zeit, hat sich inzwischen als beliebtes Repertoirestück für kleinere Kirchenchöre etabliert.

Dass sich unsere Kenntnis Tiroler Quellen in den letzten Jahrzehnten wesentlich verbessert hat, ist insbesondere dem Institut für Tiroler Musikforschung Innsbruck zu verdanken, dem die Referentin angehört, das regelmäßig Noteneditionen in Erstausgaben, Werke Tiroler Komponisten zur Aufführung bringt und davon CD-Aufnahmen in Livemitschnitten publiziert (siehe www.musikland-tirol.at). Zahlreiche Tiroler Musikalienbestände wurden von hier aus inzwischen zunächst vor Ort gesichtet und erschlossen, danach für die RISM-Datenbank katalogisiert, darunter etwa die bedeutende Klosterbibliothek in Stams, aber auch kleine Pfarrarchive, die ein reges dörfliches und kleinstädtisches Musikleben in der Alpenregion belegen.

Dass der Müllner Peter in engem Kontakt zu Tiroler Musikern stand – durch die vom Walchsee stammende Ehefrau seines Neffen und Adoptivsohns Josef Auer bestanden auch familiäre Bindungen dorthin – wird belegt durch die Tatsache, dass sich einige Autographe Tiroler Komponisten in der Sammlung befinden. Zu nennen sind hier der in Sachrang mit zahlreichen Werken vertretene Wilhelm Lechleitner, Matthias Pernsteiner aus Kufstein und Georg Benedikt Pichler aus Schwaz. Tatsächlich war die Situation in Tiroler Dörfern und Kleinstädten wohl ähnlich wie in Sachrang, was sich beispielsweise in der außergewöhnlichen Biographie des vielseitig gebildeten Schul- und Musiklehrers, Komponisten, Kapellmeisters und Organisten Josef Abenthung aus Götzens ablesen lässt, der als Teilnehmer der Tiroler Freiheitskämpfe sogar militärische Ehren erzielte, und der wohl als ein ähnliches dörfliches „Universalgenie“ wie der Müllner Peter anzusehen ist.

Die Vorführung von ausgewählten Klangbeispielen aus ITMf-Editionen und von ikonographischen Tiroler Quellen zum Thema rundeten die Präsentation ab.

Die Musikaliensammlung des Müllner Peter im Kontext der Geschichte der Blas- u. Bläsermusik – Elmar Walter


Im folgenden Referat zeichnete Elmar Walter vom Bayerischen Landesverein für Heimatpflege e.V. die Entwicklung der Bläsermusik vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Mitte des 19. Jahrhundert snach. Diese führte von der klassischen Harmoniemusikbesetzung (doppelt besetzte Oboen und Klarinetten, Hörner und Bass, in der Regel Fagott) bis zur von modernen Ventilinstrumenten geprägten reinen Blechmusik.

Harmoniemusik-Kapellen, teils zur „Türkischen Musik“ erweitert, spielten eine wichtige Rolle im öffentlichen Musikleben, so entstanden zahlreiche Bearbeitungen von beliebten Opern und Sinfonien für diese Besetzung. Neue Instrumente wie Klappen- und Flügelhorn und das später zur Tuba weiterentwickelte Bombardon als Bass fanden mit der Ausbreitung der Militärkapellen bald auch Einzug in die zivile Musikpraxis, so dass nun auch die Blechbläser melodietragende Stimmen spielen konnten. Neben den weiterhin üblichen gemischten Besetzungen aus Holz- und Blechbläsern konnten sich nun auch reine Blechbläserensembles bilden, für die ein eigenes Repertoire entstand. Zu erwähnen sind hier vor allem die Drucksammlungen mit Bearbeitungen des Münchener Militärmusikers Peter Streck (1797-1864), von denen sich noch Reste von Abschriften in den Beständen des Müllner-Peter-Museums befinden, die wohl auf den Huber-Neffen Josef Auer zurückgehen.

Der Referent konnte an ausgewählten Beispielen rein instrumental besetzter Werke aus der Huber-Sammlung zeigen, wie sich diese Entwicklung auch am Sachranger Repertoire beobachten lässt. In klassischer fünfstimmiger Harmoniebesetzung (2 Klarinetten, 2 Hörner und Fagott oder Bass) sind eine Partita in Es von Loibl sowie eine ohne Angabe des Komponisten überlieferte Folge von 12 Deutschen Tänzen (Allemanden) in Abschriften des Müllner-Peters vorhanden. Ein besonders interessantes Beispiel für ein in reiner Blechbesetzung vollständig erhaltenes Werk ist dagegen der Marsch „Alpenhorn“, der in Sachrang in einem Stimmensatz aus 4 Trompeten (C-Alto, 2 F-Trompeten, C-Basso), 2 Hörnern, Flügelhorn, Althorn und Bombardon überliefert ist und damit ein besonders frühes Beispiel für ein reines Blechbläser-Ensemblestück darstellt.

„Sachranger Menuett“ u. Co. – Gedanken und Beispiele zur Neuingebrauchnahme und Veränderung ausgewählter Musikalien der Sachranger Notensammlung nach dem Zweiten Weltkrieg“ – Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern (Bruckmühl)

Der letzte Beitrag der Konferenz war von den Mitarbeitern des Volksmusikarchivs des Bezirks Oberbayern vorbereitet worden und wurde von Ernst Schusser und Eva Bruckner vorgetragen. Er beinhaltete einen Rückblick auf die beachtliche Rezeption der Sachranger Notensammlung in der kirchen- und volksmusikalischen Praxis der vergangenen Jahrzehnte. Wichtiger Initiator für diese Entwicklung war Robert Münsters, der engen Kontakt zu wichtigen Vertretern der bayerischen Volksmusikbewegung wie Wastl Fanderl, Hans Berger oder Karl Heinz Schickhaus pflegte, zudem war er auch beratend bei der Musikauswahl für die Fernsehserie „Sachrang eine Chronik aus den Bergen“ tätig.

Anhand von verschiedenen modernen Neuausgaben und Tondokumenten wurde auf die unterschiedliche Herangehensweise bei der Adaption älterer Werke des Sachranger Repertoires hingewiesen. Hier lassen sich im Groben zwei Richtungen unterscheiden: Einerseits die textgetreue Edition und Wiedergabe, gerade von kirchenmusikalischen Werken wie etwa den Messen von Augustin Holler, in ihrer originalen Vokal- und Instrumentalbesetzung, andererseits eine stark in den originalen Notentext eingreifende Bearbeitungspraxis, wie dies etwa an den von Hans Berger herausgegebenen „Sachranger Notenheften“ zu beobachten ist. Hier werden unter anderem den Originalkompositionen neue Texte unterlegt, die einer zeitgemäßen liturgischen Praxis entgegenkommen. Vor allem finden sich starke Eingriffe in den Notentext, etwa eine Reduktion der Stimmenzahl von Vier- auf Dreistimmigkeit, Kürzungen, die Eliminierung von chromatischen Wendungen, Verzierungen und schwierigen Tonsprüngen, sowie die Tieftransposition einiger gerade für die Oberstimmen unangenehm hoch liegender Werke.

Auffällig sind auch Änderungen der Instrumentation, der Einsatz typischer „alpenländischer“ Instrumente wie Zither, Hackbrett, Gitarre und Harfe an Stelle der originalen klassischen Orchesterinstrumente. Im Referat wurden hierzu in veranschaulichenden Beispielen Originalfassung und Bearbeitung gegenübergestellt. Eine besondere Betrachtung wurde dem wohl bekanntesten Stück der Huber-Sammlung, dem sogenannten „Sachranger Menuett“, zuteil. Der in zahlreichen Tondokumenten und Neuausgaben in den unterschiedlichsten Instrumentalbesetzungen veröffentlichte Satz stellt die stark vereinfachende Bearbeitung der ersten Nummer einer anonymen Menuettfolge aus der Huber-Sammlung dar, die auf Wastl Fanderl zurückgeht. Erstmals wurde es einer breiten Öffentlichkeit in einer Folge der legendären BR-Sendereihe Baierisches Bilder- und Notenbüchl präsentiert, in der die Sachranger Notensammlung einen thematischen Schwerpunkt bildete.


Als besonderes Schmankerl wurde der Vortrag von einer Darbietung der bereits im Referat des Vorredners erwähnten 12 Deutschen Tänze unterbrochen und gegliedert , die von den fünf Musikanten und Musikantinnen klangschön und temperamentvoll dargeboten wurden.

Florian Sepp/Steffen Voss

Der Tagungsbericht erscheint auch in der nächsten Ausgabe von „Musik in Bayern„. Wir danken der Gesellschaft für Bayerische Musikgeschichte für die Erlaubnis, den Tagungsbericht parallel online publizieren zu können.


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